ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

Bundesweiter Pakt gegen Lebensmittelverschwendung – Erste Erfolge?

Aldi, Rewe, EDEKA und Co. – 14 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels haben seit Mitte 2023 den freiwilligen „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“ mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unterzeichnet. Sie verpflichten sich damit, konkrete Schritte einzuleiten, um die Lebensmittelabfälle in ihren Unternehmen bis 2025 um 30 % und bis 2030 um 50 % zu reduzieren.

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© Manuela Kuntscher

Das Thünen-Institut für Marktanalyse prüft und begleitet sie dabei. Ein Zwischenbericht zieht ein erstes Fazit für die Umsetzung im ersten Jahr. Wir haben Manuela Kuntscher um eine Bilanz gebeten.

 

Frau Kuntscher, geben Sie uns etwas tiefere Einblicke in die Zielvereinbarung: Was genau müssen Unternehmen durch den "Pakt gegen Lebensmittelverschwendung" in ihren Abläufen verändern? Wozu verpflichten sie sich?

Zur Erreichung der Ziele sieht der Pakt vor, dass die Unternehmen Pflicht- und Wahlpflichtmaßnahmen umsetzen. Es gibt fünf Pflichtmaßnahmen:

  • Eine umfangreiche Datenlieferung: Die Unternehmen übermitteln beispielsweise Zahlen zu ihren jährlichen Umsätzen und Abschreibungen für verschiedene Lebensmittelgruppen. Abschreibungen umfassen Produkte, die vom Unternehmen als nicht mehr verkaufsfähig aussortiert wurden.
  • Kooperationen für Lebensmittelspenden: Die Unternehmen gehen Kooperationen mit sozialen Einrichtungen wie z. B. den Tafeln ein, um überschüssige Lebensmittel an sie weiterzugeben.
  • Einhaltung der Abfallhierarchie:  Die Vermeidung von Lebensmittelabfällen ist oberstes Ziel. Dazu können Unternehmen beispielsweise Überschüsse reduzieren, Lebensmittel spenden oder sie als Tierfutter weitergeben.
  • Beitrag zur Reduzierung von Überschüssen in der vorgelagerten Lebensmittelkette:
    Unternehmen sollen ihren Lieferanten die Möglichkeit geben, überschüssige oder retournierte Lebensmittel sinnvoll zu nutzen, z. B. als Spende an soziale Einrichtungen.
  • Personalschulungen: Die Unternehmen führen Personalschulungen zur Verbesserung des Qualitätsmanagements, zur Optimierung der Haltbarkeit von Lebensmitteln sowie zu deren Abverkauf durch.

 

Und was zählt beispielsweise zu den zu erfüllenden Wahlpflichtmaßnahmen?

Zusätzlich setzt jedes Unternehmen mindestens acht von 36 Wahlpflichtmaßnahmen um. Die Wahlpflichtmaßnahmen umfassen dabei vier Kategorien:

  1. Maßnahmen an den Schnittstellen zu Betrieben der Landwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung.
  2. Unternehmensinterne Maßnahmen in den Filialen oder im Online-Handel.
  3. Maßnahmen an den Schnittstellen zu Kund*innen; hierzu zählen neben den Endverbraucher*innen auch Geschäftskund*innen der Außer-Haus-Verpflegung.
  4. Maßnahmen zur Verbesserung der Weitergabe von aussortierten Lebensmitteln, z. B. an die Tafeln.

Darüber hinaus sind auch individuelle Wahlpflichtmaßnahmen möglich. Besonders hervorzuheben ist der optimierte Abverkauf von Waren mit knappem Verbrauchs- oder Mindesthaltbarkeitsdatum – eine Maßnahme, die alle Unternehmen umgesetzt haben. Dabei reduzieren Unternehmen beispielsweise den Preis von Lebensmitteln kurz vor Erreichung des Verbrauchs- oder Mindesthaltbarkeitsdatums.

Die Unterstützung von Endverbraucher*innen bei der Reduzierung von Lebensmittelabfällen vor und nach dem Einkauf ist ebenfalls eine besonders häufig umgesetzte Maßnahme. Hierfür geben Unternehmen beispielsweise auf ihren Webseiten Informationen und Tipps zur Mahlzeitenplanung, Rezepte zur Resteverwertung und Lagerhinweise zu Obst und Gemüse.

 

Sie haben nun die ersten Daten der Unternehmen ausgewertet. Was ist Ihre erste Bilanz?

Die Unternehmen übermitteln Abschreibungszahlen. Wie bereits erwähnt umfassen Abschreibungen Produkte, die vom Unternehmen als nicht mehr verkaufsfähig aussortiert wurden, darunter auch noch verzehrfähige Lebensmittel, die beispielsweise aus optischen Gründen aus dem Handel genommen wurden. Diese Daten liefern sie zu fünf Warengruppen: Obst und Gemüse, Brot und Backwaren, Fleisch- und Fischprodukte, Molkereiprodukte und Convenience sowie übrige Lebensmittel.

Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1,7 % aller Lebensmittel der teilnehmenden Unternehmen aussortiert. Allerdings konnte nur knapp ein Viertel davon als Lebensmittelspende oder Futtermittel weitergegeben werden.

Wie viele Lebensmittel abgeschrieben, also aussortiert, werden, variiert stark zwischen den Warengruppen: Leicht verderbliche Produkte weisen höhere Werte auf. So lag die Abschreibungsrate bei Obst und Gemüse beispielsweise bei 4,4 % und damit deutlich über der Gesamt-Abschreibungsrate.

Über alle Unternehmen hinweg konnte bereits eine Reduzierung der Lebensmittelabfälle von 24 % erzielt werden. Hierzu tragen sowohl Maßnahmen bei, welche die Abschreibungen reduzieren, als auch die vielen Kooperationen der Unternehmen zur Weitergabe von Lebensmitteln, z. B. mit den Tafeln.

 

Was ist in diesen Erfolgen aus Ihrer Sicht besonders hervorzuheben?

Die Unternehmen zeigen sich sehr engagiert und setzen aktiv Maßnahmen zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen um. 132 Wahlpflichtmaßnahmen wurden in 2023 umgesetzt. Zudem erreichte bereits die Hälfte der Unternehmen das 90 %-Kooperationsziel – an mindestens 90 % ihrer Standorte bestehen feste Kooperationen zur Lebensmittelweitergabe.

 

Wo sehen Sie aber Einschränkungen? Was sollten Leser*innen wissen, um die Zahlen richtig zu deuten?

Jedes Unternehmen übermittelt je Warengruppe eine Umsatz- und Abschreibungszahl. Diese umfassen alle Filialen des Unternehmens in Deutschland. Die Reduzierungsziele des Paktes sind auf Unternehmensebene zu erreichen. Die Auswertung erfolgt somit für jedes Unternehmen separat und fasst die Aktivitäten all ihrer Filialen zusammen. Hierbei zeigte sich eine breite Streuung der erreichten Reduzierungsrate zwischen den Unternehmen: Einige Unternehmen sind den Reduzierungszielen näher als andere.

Für den anonymisierten Bericht wurden dann die Ergebnisse der einzelnen Unternehmen nach dem Umsatz gewichtet und zu Gesamt-Ergebnissen zusammengefasst, wodurch sich die Gesamt-Abschreibungsrate von 1,7 % und die Gesamt-Reduzierung der Lebensmittelabfälle von 24 % ergeben.

Ebenfalls wichtig zu wissen ist, dass wir uns bei der Erfassung der Menge an Lebensmittelspenden noch in einer Übergangsphase befinden: Derzeit hat bereits die Hälfte der Unternehmen ihre Lebensmittelspenden erfasst, während bei den anderen noch eine Pauschale von 30 % für die Lebensmittelspenden angenommen wird. Dies kann zu einer Über- oder Unterschätzung der tatsächlichen Spenden und Reduzierungswerte führen. Bis zum Ende des Paktes im Jahr 2031 muss jedoch jedes Unternehmen mindestens einmal seine Spendenmenge genau erfasst und übermittelt haben.

 

Frau Kuntscher, für wie realistisch halten Sie es, dass die Unternehmen eine Halbierung der Lebensmittelabfälle bis 2030 erreichen? Und bilden die bisher 14 Unternehmen, die den Pakt unterzeichnet haben, einen Großteil der Handelslandschaft ab oder müssten sich erst einmal weitere Unternehmen anschließen, um überhaupt an das Ziel herankommen zu können? 

Die Reduzierungsziele gelten für jedes Unternehmen individuell, nicht für den gesamten Sektor. Im organisierten Lebensmitteleinzelhandel (Supermärkte und Discounter) ist die Marktabdeckung des Paktes hoch, da die großen Marktakteure dabei sind. Im Lebensmittelgroßhandel hingegen bleibt die Abdeckung gering, da hier nur wenige Unternehmen vertreten sind.

Die ersten Ergebnisse zeigen Unterschiede auf: Einige Unternehmen konnten bereits deutliche Reduzierungserfolge erzielen, während andere an der Entwicklung wirksamer Maßnahmen arbeiten.

Das Thünen-Institut für Marktanalyse wertet jährlich die Daten der Unternehmen aus. Die zusammengefassten Ergebnisse werden in einem jährlichen Bericht veröffentlicht. Dies ermöglicht einen Überblick über die Entwicklungen und Erfolge der Unternehmen.

 

Welche Empfehlungen können Sie den teilnehmenden Unternehmen durch Ihre Analyseergebnisse mit auf den Weg geben, um zukünftig noch effektiver gegen Lebensmittelabfälle vorzugehen?

Wir empfehlen den Unternehmen eine Analyse auf Filialebene. Filialen, die eine niedrige Abschreibung und eine hohe Reduzierung bei ansonsten ähnlichen Strukturen und Gegebenheiten aufweisen, können als Vorbilder dienen.

Auch eine Analyse der abschreibungsstärksten Produkte kann den Unternehmen weitere Ansatzpunkte zur Reduzierung liefern und wird daher ebenso empfohlen.

Der Ausbau von Lebensmittelspenden sowie die Weitergabe als Futtermittel kann überdies zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen beitragen und sollte dementsprechend geprüft und verstärkt werden.

 

Vielen Dank Frau Kuntscher für die Einblicke in Ihre Ergebnisse. Wir sind sehr gespannt von Ihnen zu hören, ob das Zwischenziel 2025 erreicht wird.