Wie sollten unsere Lebensmittel besteuert werden? Und warum?
Eine aktuelle Studie, an der auch das Johann Heinrich von Thünen-Institut aus Braunschweig beteiligt war, kommt zu dem deutlichen Schluss: Eine Reform der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel kann in Europa gesundheitliche, ökologische und wirtschaftliche Vorteile bringen!
Aber von vorn: Warum gibt es überhaupt Unterschiede in der Besteuerung von Lebensmitteln? Wie lenkt diese Besteuerung unser Einkaufsverhalten? Und passen diese Steuersätze mit Blick auf Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft noch in die heutige Zeit?
Wir haben mit Dr. Florian Freund, Wissenschaftler am Thünen-Institut, gesprochen. Er fasst die aktuelle Situation zusammen und klärt auf, welche Effekte ein geänderter Steuersatz auf Lebensmitteln hätte.
Herr Dr. Freund, bringen Sie die aktuelle Situation noch einmal auf den Punkt: Welche Lebensmittel werden in Deutschland mit welchem Mehrwertsteuersatz belegt? Wo sind die Unterschiede?
Grundsätzlich werden Nahrungsmittel als Gegenstände des täglichen Bedarfs mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz von 7% belegt. Dazu zählen auch Leitungswasser und Milch. Andere Getränke und Luxuslebensmittel wie Kaviar, Langusten oder Hummer werden mit dem regulären Satz von 19% besteuert.
Der verminderte Steuersatz soll für soziale Gerechtigkeit sorgen. Es gibt da aber einige Kuriositäten: Für Leitungswasser gilt der verringerte Mehrwertsteuersatz; für Mineralwasser hingegen der reguläre. Für Tiernahrung ist die Mehrwertsteuer verringert; für Babynahrung hingegen nicht. Kaviar gilt als Luxusgut mit vollem Mehrwertsteuersatz; Trüffel wiederum nicht. Kaffeepulver wird zwar als Grundnahrungsmittel angesehen und entsprechend mit 7% besteuert; ein „Coffee to Go“ wird hingegen mit 19% besteuert. Wird der Kaffee aber als Milchmischgetränk angeboten, also zum Beispiel als Latte Macchiato, wird er mit 7% Mehrwertsteuer belegt. Wählt man jedoch die Variante mit Haferdrink werden wiederum 19% fällig.
Preise aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zu gestalten scheint erst einmal ein guter Ansatz. Ist die derzeitige Regelung aus Ihrer Sicht aber noch ausreichend und zeitgemäß?
Soziale Gerechtigkeit ist immer ein wichtiges Politikziel. Man darf aber auch die anderen gesellschaftlichen Ziele nicht aus dem Blick verlieren. Dazu gehören die internationalen Verpflichtungen, den Klimawandel zu bekämpfen. Gleichzeitig nehmen ernährungsbedingte Krankheiten und Übergewicht ständig zu. Bei all diesen Problemen kann eine Mehrwertsteuerreform auf Nahrungsmittel einen positiven Beitrag leisten und das auch noch sozial gerecht.
Klar ist, je nachdem wie hoch die Lebensmittel besteuert werden, desto mehr oder weniger kosten sie im Supermarkt. Aber wie beeinflussen diese unterschiedlichen Besteuerungen denn eigentlich unser Kaufverhalten?
Die unterschiedlichen Steuersätze können das Kaufverhalten beeinflussen, indem sie preisliche Anreize schaffen. Produkte mit niedrigerem Steuersatz werden günstiger, was Verbraucher dazu motivieren kann, eher zu diesen zu greifen. Allerdings muss an dieser Stelle der Vollständigkeit halber auch gesagt werden, dass das nicht der einzige Aspekt ist: Bei der Kaufentscheidung spielen auch andere Faktoren wie persönliche Vorlieben, Gesundheitsbewusstsein und Umweltaspekte eine Rolle.
In Ihrer Studie schlagen Sie vor, die Mehrwertsteuer auf unterschiedliche Lebensmittelgruppen anzupassen. Was wäre hier ein sinnvolles Vorgehen?
Wir haben in unserer Studie mehrere Optionen durchgespielt, die in der Vergangenheit auch öfters diskutiert wurden:
- Eine Option wäre eine Befreiung der Mehrwertsteuer auf gesunde und nachhaltige Produkte wie Obst und Gemüse.
- Eine weitere Option wäre eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf weniger umweltfreundliche und gesunde Produkte wie Fleisch und Milch.
- Schließlich haben wir noch eine Kombination aus den beiden genannten Optionen in die Analyse einbezogen.
Letztere Option hätte auch den Vorteil, dass die Verbraucher eine Mehrbelastung die durch eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf Fleisch und Milch entsteht, einfach abfedern könnten, indem sie mehr Obst und Gemüse und weniger Fleisch und Milch essen.
Fassen wir einmal zusammen: Die derzeitigen Regelungen sind kurios und andere Steuersätze könnten zu anderen Kaufentscheidungen führen. Welche konkreten Vorteile hätte eine Änderung der Mehrwertsteuer mit Blick auf unsere Gesundheit und die Umwelt?
Die aktuelle Ernährungsweise ist weder gesund noch nachhaltig. Ein zu geringer Konsum von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten sowie ein zu hoher Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch sind für ca. 25% aller vorzeitigen Todesfälle und für einen Großteil der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich. Vor diesem Hintergrund würde ein Szenario bei dem Fleisch und Milch teurer und Obst und Gemüse billiger werden, die Umweltauswirkungen in Europa um sechs Prozent senken. Das würde für Deutschland etwa zehn Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid ausmachen. Das entspricht ungefähr den gesamten jährlichen Emissionen von Lettland. Europaweit wären es sogar 63 Millionen Tonnen weniger, was dem jährlichen gesamten Kohlendioxidausstoß Ungarns entspricht.
Ferner gäbe es drei Prozent weniger vorzeitige Todesfälle. In Deutschland entspräche das etwa 20.000 Tote weniger, in Europa wären es rund 160.000 weniger. Die Kosten für die Gesellschaft durch Krankheiten und Klimaschäden würden um 37,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr sinken, in Deutschland um etwa sechs Milliarden US-Dollar.
Das klingt erst einmal nach sehr positiven Effekten für die Gesundheit der Menschen und die der Umwelt. Gerne möchte ich aber noch zwei Nachfragen aufgreifen, die zu diesem Thema immer wieder kommen:
Die eine Frage ist, wenn tierische Produkte wie Fleisch und Wurst teurer werden würden, wird es vor allem für armutsbetroffene und -gefährdete Haushalte schwieriger, sich diese Lebensmittel leisten zu können. Wie können diese sozialen Auswirkungen eingeordnet werden?
Das ist eine kritische Frage. Steueranhebungen sind in der Bevölkerung zunächst einmal eher unpopulär. Man sollte als Politik klar kommunizieren, wofür die Maßnahmen durchgeführt werden. Außerdem sollten solche Steuerhöhungen möglichst kostenneutral durchgeführt werden. Das heißt, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen an die am stärksten betroffenen Haushalte umverteilt werden, oder dass an anderer Stelle Nahrungsmittel günstiger werden.
Genau aus diesem Grund ist eine kombinierte Mehrwertsteuerreform, bei der tierische Produkte teurer und gleichzeitig pflanzliche Produkte günstiger werden, so attraktiv. Die Menschen können sich gesünder und ökologisch nachhaltiger ernähren, ohne groß mehr dafür ausgeben zu müssen.
Danke für die Erklärung. Sie sehen also, dass durch das Modell der kombinierten Änderung dieser kritische Punkt bereits berücksichtigt wäre.
Die zweite Frage ist: Warum sollte sich der Staat in die individuelle Ernährungsweise einmischen und die Auswahl bestimmter Lebensmittel durch die Preisgestaltung lenken?
Zunächst einmal wäre so eine Mehrwertsteuerreform nur ein sehr sanfter Eingriff in das Marktgeschehen. Es geht nicht darum, den Menschen irgendetwas zu verbieten oder den Konsum von Fleisch unerschwinglich zu machen. Die Preise würden sich ja nicht dramatisch verändern. Die in unserer Studie vorgeschlagenen Maßnahmen machen aber Sinn und sind dringend notwendig, weil unsere aktuelle Ernährung und alles was damit zusammenhängt weder gesund noch nachhaltig ist.
Die negativen Effekte auf Umwelt und Gesundheit sind aktuell nicht in den Nahrungsmittelpreisen abgebildet. Also etwa die Kosten, die dem Gesundheitssystem entstehen oder entsprechende Klimafolgekosten. Diese durch das globale Ernährungssystem jährlich verursachten versteckten Kosten werden auf kaum vorstellbare 3 Billionen USD geschätzt. Mit einer leicht umsetzbaren Mehrwertsteuerreform könnten man einen Teil dieser versteckten Kosten sichtbar machen.
Ihr Schluss ist also deutlich: „Eine Reform der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel kann in Europa gesundheitliche, ökologische und wirtschaftliche Vorteile bringen!“. Die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte sollte erhöht und gleichzeitig die auf pflanzliche Produkte verringert werden. Geben Sie uns zum Abschluss eine Einschätzung: Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Empfehlung umgesetzt wird?
Es gibt viele Fürsprecher einer solchen Reform. Die Zukunftskommission für Landwirtschaft (ZKL) sieht beispielsweise großes Potential in einer umfassenden Mehrwertsteuerreform, bei der Fleisch teurer und Obst und Gemüse günstiger wird, um die Agrar- und Ernährungswirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Dieser Konsens ist bemerkenswert, da bei der ZKL neben Wissenschaft und NGOs auch die Nahrungsmittelwirtschaft sowie der Bauernverband vertreten sind. Unsere Studie belegt die Vorteile einer solchen Reform nun auch mit Zahlen. Die Politik sollte die Gelegenheit jetzt nutzen und ein modernes Steuersystem auf den Weg bringen.