Handelsprospekte unter der Lupe: Gesunde Ernährung? Fehlanzeige!
Was soll es in der nächsten Woche zu Essen geben? Welcher Vorrat muss aufgefüllt werden und was fehlt auf der Einkaufsliste? Wer den nächsten Lebensmitteleinkauf plant, greift gern zu den Verkaufsprospekten verschiedener Lebensmitteleinzelhändler.
Aber welche Lebensmittel werden eigentlich am häufigsten in Prospekten beworben? Die Verbraucherzentrale Hamburg hat über mehrere Monate verschiedene Handelsprospekte analysiert. Was ihnen dabei aufgefallen ist und ob es Kund*innen dadurch erleichtert oder eher erschwert wird, sich gesund zu ernähren, haben wir im Interview nachgefragt.
Frau Fischer, in Ihrem Marktcheck haben Sie Werbeblätter von Aldi, Edeka, Penny und Co. unter die Lupe genommen. Geben Sie uns ein paar Zahlen an die Hand: Welche Lebensmittelgruppen werden am häufigsten, welche selten beworben? Was ist Ihnen mit Blick auf die Häufigkeiten von Fertiggerichten, Bio- oder Fairtrade-Produkten aufgefallen?
Insgesamt haben wir über vier Monate hinweg 3.457 Abbildungen in den Werbeblättern der großen Supermarktketten und Discounter untersucht. Fast die Hälfte der Lebensmittel, die wir in den Prospekten gesehen haben, sollte eher selten oder höchstens in kleinen Mengen verzehrt werden. Dazu zählen Süßes und Snacks sowie gezuckerte und alkoholhaltige Getränke. 15 Prozent der beworbenen Produkte fallen in die Kategorie Fleisch- und Wurstprodukte. Auch Fertiggerichte und Convenience-Produkte konnten wir mit einem durchschnittlichen Anteil von 14 Prozent relativ oft finden. Der Anteil an beworbenem Obst und Gemüse ist dagegen mit nur 10 Prozent eher gering. Auch Brot, Getreide, Kartoffeln und andere Beilagen sind mit einem Anteil von 5 Prozent selten vertreten.
Wenn Sie diese Präsenz der verschiedenen Lebensmittelgruppen in der Werbung des Lebensmitteleinzelhandels mit den Empfehlungen für eine ausgewogene, gesunde Ernährung vergleichen, welches Abbild ergibt sich?
Wir haben die Anteile der verschiedenen Lebensmittelgruppen mit der Verteilung in der Lebensmittelpyramide des Bundeszentrums für Ernährung verglichen. Dabei haben wir festgestellt: Die Prospekte stellen die Lebensmittelpyramide buchstäblich auf den Kopf. Während gesunde Getränke, Obst und Gemüse und Getreideprodukte nur wenig vertreten waren, dominierten in den Prospekten die Genussmittel und „Extras“ sowie die Fleisch- und Milchprodukte. Laut Empfehlung der Ernährungspyramide sind diese Tierprodukte eher in Maßen zu genießen und sollten keineswegs mehr als das Doppelte von Obst und Gemüse ausmachen. Das ist jedoch die Verteilung in den Prospekten.
Was hat dieses Ungleichgewicht aus Ihrer Sicht für Folgen? Beeinflusst der Lebensmitteleinzelhandel damit unsere Kaufentscheidungen und schließlich auch das Essverhalten? Und wenn ja, wie?
Welche Produkte in der Werbung gezeigt werden, beeinflusst laut Studien das Einkaufsverhalten: Wenn mehr Werbung für Ungesundes gezeigt wird, wird auch mehr von diesen Produkten verkauft. Selbstverständlich kaufen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ausschließlich nach dem Prospekt, aber in Umfragen geben 95 % der Deutschen an, zumindest hin und wieder die Prospekte zu lesen und 43 % verwenden diese als Grundlage für Einkaufsentscheidungen. Ein Kriterium, das beeinflusst, ob ein Produkt gekauft wird, ist der Preis. Über die Hälfte der preisreduzierten Produkte im Marktcheck (844 Produkte / 58 Prozent) fallen in die Kategorien Süßes und Snacks, Fleisch sowie alkoholische Getränke. Also Produkte, die in der Gesellschaft eher zu viel als zu wenig verzehrt werden. Bei allen Händlern zählten Süßigkeiten und Snacks zu den drei am häufigsten reduzierten Lebensmittelgruppen. Damit werden Anreize gesetzt, ungesunde Snacks zu kaufen, während Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich weniger gezielte Unterstützung vom Handel bekommen, sich für Obst und Gemüse zu entscheiden.
Der Lebensmitteleinzelhandel sitzt zwischen der Produktion und dem Verkauf von Lebensmitteln an einer sehr entscheidenden Stelle unseres Ernährungssystems. Welche Rolle schreiben Sie ihm zu, wenn es darum geht, wie die Werbung für Lebensmittel gestaltet wird?
Der Handel gestaltet die Werbeblätter, um den Gewinn zu maximieren und nicht um Verbraucherinnen und Verbrauchern Appetit auf eine ausgewogene Ernährung zu machen. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass Einkaufsentscheidungen nicht rein rational gefällt werden und daher Gefühle, die zum Beispiel durch die Werbung vermittelt werden, einen teilweise unbewussten Effekt für die Kaufentscheidung haben. Verbraucherinnen und Verbraucher können nur das kaufen, was der Handel anbietet. Wenn der Handel darüber hinaus noch mit den Werbeblättern gezielt Appetit auf bestimmte, für den Handel lukrative Produkte anregt und diese mit Rabatten attraktiv macht, wird es für Verbraucherinnen und Verbraucher schwerer, sich klar an den geplanten Einkaufszettel zu halten.
Als Verbraucherzentrale stehen Sie dafür ein, Verbraucher*innen zum Beispiel vor solchen Supermarktfallen zu schützen. Was geben Sie Kund*innen vor dem Hintergrund Ihrer Ergebnisse mit auf den Weg?
Wer planvoll einkaufen geht und sich weniger zu Spontankäufen hinreißen lässt, kann sich bei dem breiten Angebot im Supermarkt abwechslungsreich und ausgewogen ernähren. Daher kann es sich lohnen, vor dem Einkauf zu planen, welche Produkte man haben möchte und wie viele Genussprodukte man sich genehmigt. Prospekte können verwendet werden, um sich über Preise und gute Angebote zu informieren, aber man sollte sich bewusst machen, dass diese Werbung auch Appetit auf eine unausgewogene Kost befeuert.
Und was braucht es aus Ihrer Sicht in Zukunft mit Blick auf den Lebensmitteleinzelhandel, um ein gesundes und nachhaltiges Ernährungssystem zu ermöglichen und zu unterstützen?
Studien zeigen, dass mehr ungesunde Produkte gegessen werden, wenn Leute diese oft in der Werbung sehen. Daher sollte sich der Handel endlich seiner Verantwortung bewusst werden und Verbraucherinnen und Verbraucher dabei unterstützen, sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Derzeit setzen die Unternehmen noch oft die falschen Anreize.
Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Frau Fischer. Das deckt sich auch mit Niedersachsens Ernährungsstrategie, die empfiehlt, dass der Handel sein Marketing auf Lebensmittel mit nachhaltigeren Eigenschaften ausrichten soll.