ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

Pflanze, Tier oder Labor – Woher kommen Proteine in einer pflanzenbetonteren Ernährung?

Andere Lebensmittel, andere Nährstoffgehalte, andere Umwelteffekte. Würden wir uns pflanzenbetont ernähren, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt – das heißt weniger tierische, mehr pflanzliche Lebensmittel – hätte das Auswirkungen. Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke, früher Hochschullehrer für Mikrobiologie und Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Fulda, klärt auf, wie wichtig ein Blick auf die Proteinversorgung dabei ist.

Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke
© Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke

Herr Prof. Dr. Lücke, die Fachwelt ist sich einig: Für die Gesundheit von Mensch und Umwelt muss sich die Ernährungsweise zu einer pflanzenbetonten Ernährung verändern. Erklären Sie uns bitte: Warum ist es wichtig, dabei auf die Proteinversorgung zu schauen?

Unser Körper baut seine Proteine („Eiweißstoffe“) aus 20 Aminosäure-Bausteinen auf. Von diesen 20 Aminosäuren müssen 9 in Form von Nahrungsprotein zugeführt werden. Im Durchschnitt sind wir mit Proteinen gut versorgt: die meisten von uns verzehren im Durchschnitt 10-20% mehr als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Fälle von Protein-Unterversorgung sind bei uns selten. Tierische Proteine machen derzeit durchschnittlich etwa 60% der verzehrten Proteine aus. Wenn wir weniger tierische Proteine verzehren, müssen diese also zum größten Teil durch andere Proteine ersetzt werden.Dabei ist nicht zu vergessen, auf eine ausreichende Versorgung mit Mikronährstoffen (Eisen, Calcium, Zink, Spurenelemente, bestimmte Vitamine) zu achten.

Eine mögliche Alternative wären pflanzliche Proteinquellen: Wie können Proteine über pflanzliche Lebensmittel aufgenommen werden?

Um mehr Proteine aus pflanzlichen Quellen aufzunehmen, sollten vor allem mehr Hülsenfrüchte und Nüsse verzehrt werden. Diese können auch mit sehr geringem Ressourcenverbrauch und sehr wenig Treibhausgas-Bildung erzeugt werden. Insgesamt ist aber zu beachten, dass die biologische Wertigkeit und Verdaulichkeit von Proteinen aus Pflanzen – d. h. wie gut die Proteine vom Körper verwertet werden können – meist geringer ist als von tierischen Proteinen. Daher kommt es auf die Vielfalt, Verarbeitung und Zubereitung pflanzlicher Biomasse und die richtige Kombination proteinhaltiger pflanzlicher Lebensmittel mit unterschiedlicher Aminosäure-Zusammensetzung an.

Und wenn doch tierische Proteinquellen genutzt werden: Gibt es dabei auch Möglichkeiten, wie tierisches Protein nachhaltig erzeugt werden kann und damit zu einer nachhaltigen Ernährung beiträgt?

Ja, wenn die Proteine von Tieren stammen, die nicht mit uns um wertvolle Ackerflächen konkurrieren. Tiere also, die mit Biomasse gefüttert werden, die wir nicht verdauen können und/oder die als Reststoffe bei der Verarbeitung (z.B. bei der Müllerei) anfällt. Das bedeutet: Wiederkäuer überwiegend mit dem füttern, was auf Grünland wächst, Schweine und Geflügel mit Reststoffen. Das ist aber nur umzusetzen, wenn der Verbrauch an tierischen Proteinen deutlich sinkt. Modellrechnungen für Deutschland haben ergeben, dass zum Erreichen der rechtlich vorgegebenen Klimaziele bis 2045 der Verbrauch an Geflügelfleisch um 15%, derjenige von Schweinefleisch und Milch um 35% und derjenige von Rindfleisch um 50% sinken müsste, und der tägliche Verzehr von tierischen Proteinen von etwa 45 g auf etwa 20 g pro Kopf. 

Das heißt, wir brauchen alternative Proteinquellen zu den tierischen Eiweißen. Die pflanzlichen Alternativen haben Sie uns bereits vorgestellt. Sehen Sie aber auch Ansatzpunkte in der Lebensmitteltechnologie, wie die nachhaltige Proteinversorgung außerdem unterstützt werden kann?

Das Potenzial von Proteinen aus Zellkulturen oder anderen im Fermenter ablaufenden Prozessen halte ich für überbewertet. Grundsätzlich ist es gut, dass schmackhafte und nahrhafte proteinreiche Lebensmittel aus Rohstoffen gewonnen werden, die sich zum direkten Verzehr durch den Menschen nicht eignen und deren Erzeugung nicht mit der Nahrungsmittelproduktion konkurriert. Allerdings sollte der Einsatz von Energie und anderer Ressourcen für die Aufbereitung dieser Rohstoffe so niedrig sein, dass er den niedrigen ökologischen „Fußabdruck“ dieser landwirtschaftlichen Erzeugung nicht wieder zunichtemacht. Sehr viel näher liegt es, das Potenzial pflanzlicher Proteine besser zu nutzen, die sowieso schon auf dem Acker erzeugt werden, nicht nur aus Hülsenfrüchten, sondern auch aus „nicht backfähigem“ Getreide (z.B. Weizen mit niedrigem Gehalt an Protein; Hafer; Gerste) und Raps.

Fassen Sie es doch noch einmal für uns in Ihren Worten zusammen: Wie gelingt eine nachhaltige Proteinversorgung und welche Potenziale stecken darin?

  • Eine nachhaltigere Ernährung bedeutet einen deutlich geringeren Verzehr tierischer Proteine, vor allem von „rotem Fleisch“ (Rind, Schwein). Es kommt dabei darauf an, Erzeugung und Konsum parallel zu senken.
  • Es ist aber weder notwendig noch nachhaltig, auf tierische Proteine, ihre ernährungsphysiologischen Vorteile und ihre kulinarische Vielfalt komplett zu verzichten, und damit auch auf die Vorteile der Nutztierhaltung für die Nährstoffkreisläufe im Boden und die Nutzung von Biomasse, die nicht direkt verzehrt werden kann.  
  • Anreize für einen höheren Konsum pflanzlicher statt tierischer Proteine gelingen vor allem über vielfältige, sensorisch ansprechende Angebote, attraktiv präsentiert. Dies gilt sowohl für die Außer-Haus-Verpflegung als auch für den Lebensmitteleinzelhandel. Die Verwendung von vertrauten, regional verfügbaren Rohstoffen verbessert die Akzeptanz zusätzlich.  

 

Vielen Dank Herr Prof. Dr. Lücke für die Zusammenfassung und den Blick ins Detail zu diesem Thema. Den Proteinbedarf auf nachhaltigere Art und Weise zu decken, kann uns also bei einer stärker pflanzenbetonten Ernährung durchaus gelingen. Gute Anreize, schmackhafte Gerichte in der Außer-Haus-Verpflegung und ein entsprechendes Angebot im Supermarkt werden uns dabei helfen.