"Gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und Änderungen umzusetzen... das macht uns stolz!"
Die Verringerung von Lebensmittelabfällen und -verlusten ist das Ziel der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung. Die Kompetenzstelle Außer-Haus-Verpflegung (KAHV) ist Teil der Strategie und unterstützt Betriebe darin, ihre Abfallmengen zu erheben und zu dokumentieren. Nach erfolgreicher Durchführung werden diese mit einem Zertifikat ausgezeichnet.
Als zweiter Betrieb deutschlandweit und als erster Betrieb in Niedersachsen ist das Lebens- und Gesundheitszentrum, die WH Care Osloß GmbH, aus dem Landkreis Gifhorn zertifiziert worden. Hierzu haben wir Thomas Kornblum, den zentralen Hauswirtschaftsleiter der Einrichtung, interviewt.
Wie sind Sie auf das Thema Abfallmessung in der KAHV aufmerksam geworden und was hat Sie zur Teilnahme motiviert?
Über eine Schulung unseres Lebensmittellieferanten bin ich auf das Thema aufmerksam geworden. Auch darauf, dass es möglich ist, die Lebensmittelverschwendung in Betrieben mit einfachen Maßnahmen zu verringern. Vor allem die Zahlen zum virtuellen Wasser haben mich nicht losgelassen: Mit einer Tasse Kaffee werden ca. 120 Liter und für 1 kg Fleisch sogar 15.000 Liter Wasser verbraucht. Das war mir vorher nicht bewusst. Mit diesen Erkenntnissen bin ich zur Geschäftsführung gegangen. Zunächst bin ich auf Vorbehalte gestoßen, aber letztendlich waren sie einverstanden die Messungen durchzuführen.
Wie haben die Mitarbeiter*innen darauf reagiert? Waren sie bereit den Speiseabfällen auf den Grund zu gehen?
Die Reaktionen waren unterschiedlich; teilweise zunächst verhalten. Wir haben daher viel aufgeklärt und über den Mehrwert informiert: Durch die finanziellen Ersparnisse kann das vorhandene Budget anderweitig investiert werden. Es landet vollständig wieder auf den Tellern der Bewohner*innen. So können wir jetzt hochwertigere Produkte bestellen, zum Beispiel kann es statt Seelachs auch mal Lachs geben. Zusätzlich tragen wir dadurch zur Ressourcenschonung bei, das Klima profitiert!
Zur Motivation der Mitarbeitenden beigetragen hat auch eine gute Öffentlichkeitarbeit und der Besuch der damaligen Ministerin Frau Otte-Kinast. Das hat den Mitarbeitenden unglaubliche Wertschätzung entgegengebracht.
Wie war der Ablauf der Messungen, was musste gemacht werden?
Das Pflegeheim in Osloß war zunächst das Startprojekt. Die KAHV und ein beteiligter Dienstleister haben die Durchführung organisiert. Sie haben die Software für die Messungen gestellt und uns anschließend die möglichen Maßnahmen erklärt. In den Bereichen Lagerung, Produktion, Überproduktion und Tellerrücklauf wurden die Speiseabfälle acht Wochen lang gewogen und notiert. Dafür haben wir bewusst transparente Abfalleimer gewählt. Anschließend konnten wir erkennen, wo die meisten Lebensmittelabfälle anfallen.
Wie haben Sie und Ihr Team den zusätzlichen Aufwand empfunden?
Wir starteten während der Corona-Zeit. Daher richtete sich der Fokus immer wieder auf etwas anderes. Wir mussten uns immer wieder gegenseitig erinnern und selbst disziplinieren. Disziplin ist das Wichtigste. Aber auch das ganze Team muss dahinterstehen, nur so kann es gelingen.
Wir sind gespannt! Hat Ihr Betrieb durch die Messaktion Speiseabfälle reduziert?
Ja! Die durchgeführten Maßnahmen haben dazu geführt, dass wir 60 % weniger Lebensmittel entsorgen als zuvor. Eine derzeitige dritte Messung zeigt auf, ob wir weiter auf dem richtigen Kurs sind. Weitere Messungen sind wichtig, damit wir weiter am Ball bleiben.
In welchem Bereich sind zuvor viele Speiseabfälle entstanden und wie haben Sie Lösungen entwickelt?
Die meisten Abfälle endstanden bei den Tellerrückläufen der Bewohner*innen. Im Lager fällt dagegen so gut wie nichts an. Auch das war schön zu sehen.
Nach dem ersten Messzeitraum haben wir uns mit der Leitung, den Bereichsleitern des ganzen Hauses und den externen Dienstleistern zusammengesetzt und eine Maßnahmenplanung erarbeitet. Das war der wichtigste Tag im ganzen Projekt. Die Akzeptanz bei allen war groß, zum Teil gab es einen Wettbewerb zwischen Wohnbereichen, woraus sich eine große Dynamik entwickelte. Die zusätzliche Motivation: ein großes gemeinsames Ziel.
Gegen die hohen Tellerrückläufe haben wir zum Beispiel einen Kellen-Plan eingeführt, der genau vorgibt, welche Portionsgröße ausreicht. Dadurch konnte viel erreicht werden, denn die Pflegebewohner*innen fühlen sich mit vollen Tellern überfordert. Und auch sie bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht aufessen. Ein Nachschlag ist natürlich möglich. Wir haben auch die Menüpläne evaluiert und geschaut: welche Gerichte laufen gut, welche eher nicht. Aber auch den Zahnstatus der Bewohner*innen zu kontrollieren war eine sinnvolle Maßnahme.
Welche Schwierigkeiten zeigten sich bei der Umsetzung und was war hilfreich?
Anfangs waren nicht alle Mitarbeitenden überzeugt. Denn die Sinnhaftigkeit sieht man erst nach der zweiten Messung. Mit diesen erfolgreichen Zahlen kam dann spätestens bei allen die Akzeptanz. Jetzt ist es wichtig immer wieder zu motivieren. Die externen Dienstleister helfen dabei. Und dadurch entsteht auch ein Selbstverständnis und eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, dass wir es anderen zeigen, dass wir es schaffen können.
Hilfreich war es als Grundprojekt ein Haus auszuwählen, bei dem es bereits relativ gut lief. Jetzt folgen Häuser, bei denen die Abfallzahlen im Vergleich zu unseren anderen Häusern höher sind.
Falls es zu viele Herausforderungen gibt, kann es zum Teil sinnvoll sein, die Ziele etwas niedriger zu setzen.
War eine Hemmschwelle zur Teilnahme, die Zahlen offen zu legen?
Nein, gar nicht. Wir erheben sie schließlich, um uns zu verbessern. Wir möchten einen Erfolg erzielen und Lebensmittelabfälle reduzieren. Das Ergebnis zählt.
Was war Ihr größtes Erfolgserlebnis?
Dass wir es geschafft haben, gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und Änderungen umzusetzen. Und schon kleine Änderungen führen zu großen Erfolgen: Wir haben beispielsweise 1.211 Badewannen voll Wasser innerhalb eines Jahres eingespart. Das macht uns stolz.
Haben Sie die Bewohner*innen des Hauses auch über die Teilnahme und die Ziele informiert? Wenn ja, wie war die Reaktion/das Feedback?
Ja, auch sie wurden informiert. Gerade die durchsichtigen Mülleimer haben Interesse geweckt und zum (um-)denken angeregt. Aber es war eher für die Mitarbeitenden interessant.
Wie wird auf das Zertifikat reagiert? Wird es von außen wahrgenommen?
Es hängt im Eingangsbereich. Dadurch sprechen Angehörige unsere Mitarbeitenden an, dass es toll ist, was gemacht wird. Es wird von außen als Positivbeispiel wahrgenommen. Das wiederum motiviert die Mitarbeiter*innen weiterzumachen. Weiterhin ist das Interesse der örtlichen und fachlichen Presse sehr groß, dieses zeigt uns auch, dass wir auf den richtigen Weg sind.
Aufgrund Ihrer Erfahrungen, würden Sie anderen Betrieben etwas raten oder weitergeben?
Einfaches Prinzip: Eimer aufstellen und messen! Nicht lange drüber reden, sondern einfach machen!
Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg und Freude auf dem Weg der Ressourcenschonung.
Die Gemeinschaftsverpflegung wird im Rahmen der diesjährigen Aktionswoche „Deutschland rettet Lebensmittel!“ als Schwerpunktthema aufgegriffen. Das ZEHN bietet hierzu am 28. September 2023 ein Webinar an, mit inspirierenden Ansätzen und Möglichkeiten, die Lebensmittelverschwendung in der Außer-Haus-Verpflegung zu reduzieren. Nähere Informationen folgen.